MACHRI
DIE AKTUE LLE TECHNIS
Der Delta-Plan sichert Hollands Küsten
VDI
ORGAN DES DEUTSCHEN VERBANDES TECHNISCH-
Vortrogstagung Freiburg
Bericht: Seite 2 bis 6
ICHER VEREINE
Schrlftleitung und Verlag: Gesamtschrlftleltung Dr.-log. H. Böhm. Verantwortlidi lör Tedinlk
und Forschung z. Z. Dr.-lng. H Böhm, für Blld- und Nacbriditendienst aus Industrie und Tedinik
W P. Herzoq. (Or Wlrtsdiaft und Verbandswesen Dr. rcr. pol. E Koeppel. sémlllch In DQssel-
dorf. In Osterreich für den Vertrieb verantwortlidi: Dr Franz Hain, Wten I, WallnerstraBe 4.
Verantwortlidi für den Anzelgentell E Just. Düsseldorf. Anzelgenprels laut Taiif 10.
Verlag: VDI-Verlag GmbH, DOsseldorf. Drudci Industrledrudc AG Essen
Bezugsbcdlngungen: Die VDl-Nachrlchteo erschelnen alle 14 Taqe. Mitglieder des VDI
erhalten die VDI-Nachridilen kostenlos Einzelpreis für Nichtmttqlieder 0.60 DM. Vfer-
tellahres-Bezuqspreis: 3,10 DM zuzügl. Postzuslellgebühren. Unverlanqle Manuskrlpte
werden our zurüdtgesandt, wenn Rückporlo belgefüqt wlrd. Desgleichen 1st ROdtporto
fOr Anskünfte beizufügen. Nadidrudc nur tnitGenehmigung der Srimftleituno gestattet.
Ansdirift der Schrlflleltang: Vereln Deutsdier Ingenieure. VDI-Nadirichien, (22a)
Düsseldorf. PriDZ-Georg-Str. 170$, Fernspr. 44 33 51. Fernschreiber-Nr. 0858 1839.
Telegr.-Adr.: VDI-Nachrichten, Düsseldorf. Anschrifl des Veriages (far alle Anqele-
genheiten des Bezugs uod der Aozeigen): VDI-Verlag GmbH.. Düsseldorf, Bongardstr. 3.
Fernspr. 44 33 51. Telegr.-Adr.: Ingemeurverlaq, Düsseldorf. Poslscheckk.: Essen 1651.
Jahrg. 11
Düsseldorf, 8. Juni 1957
M
Nr. 12
Das Deltaprojekt wird nicht nur dem Sdiutz
des Landes dienen. Die Sperrdamme werden
die Insein verkehrstechnisch erschlieBen und
ihre Entwickiung fördern. GroBe Erholungs-
gebiete, die im Westen der Niederlande bis-
her fehlen, werden für Millionen von Men-
schen erreichbar werden. Die Salzwasser-
fischerei und die Austernzucht werden aller-
dings aus dem Gebiet des Deltasees vertrie-
ben werden, da dieser ja ein SüBwasser-
becken sein wird.
Das „Hollandsch Ijssel Wehr". Links und redils von der beweglidien BrUcke in der Mitte beBnden
*ich die belden Sturmauttore, Photos u. Zeidmung: Jansea
Holland ist Niederlandl Fast die Halfte sei
ner Bewohner lebt hinter den Deichen in
einem Gebiet, das seit 1000 Jahren gegen das
Meer verteidigt werden muB. Die Verande-
rungen der hollandischen Küste sind ein
Spiegel dieses wechselvollen Kampfes, in
dem das Meer so lange Sieger zu bleiben
drohte, als der Mensch nur unvollkommen
gegen die Naturgewalt gerüstet war. Immer
wieder zerstörte das Meer die Deiche und
überschwemmte das Land. Zwar führten die
Flüsse standig Sdilamm in die überschwemm-
ten Gebiete, aber auf die Dauer schien der
Kampf doch aussichtslos zu sein, denn der
westliche Teil der Niederlande senkt sidi
standig, ein viertel Meter nur in hundert
Jahren, aber schon liegt ein groBer Teil des
Landes auf gleicher Höhe mit dem Meeres-
spiegel. Bridit ein Deidi, so hat das Meer
freies Spiel. Mit jederFlut dringen ungeheure
Wassermassen durdi die Deichlücke in das
Land, bei Ebbe stromen sie wieder ins freie
Meer hinaus, im r-eiBenden Strom die Lüdce
standig erweiternd.
Die Mechanisierung gab audi dem Wasserbau
neue Möglichkeiten, und groBe überschwem-
mungskatastrophen riefen die Niederlander
zu gewaltigen Planen zum Schutz des Landes
auf. Als 1916 die Deiche desZuidersee brachen
und eine überschwemmung den ganzen Nor
den des Landes bedeckte, da entstand der
Plan, die Zuidersee vom Meer abzuschlieBen
und teilweise trocken zu legen. Ein 30 km
langer Absperrdeich war zu bauen, und je
weiter der Bau fortsdirilt, desto starker
wurdé die Ausschwemmung des sandigen
Grundes durch die wadisende Geschwindig-
keit des Gezeitenstroms.
Den lockeren Sandgrund durch schwere Stein-
schüttung zu sdiützen, versprach zü geringen
Erfolg, denn die Steine versinken leicht im
lodceren Sand, der bei strömendem Wasser
wieder aus den Steinfugen gespült wird.
Man verlegt daher zunachst sogenannfe
Senkstücke, aus Weidenhoii unci R>. r-
cjefloditene Faschinenmatratzen, die in 1000 m'
groBen. Stücken nur von Fadileuten herge-
stelit werden können. Die Senkstücke wer
den mit Schleppem an den Bestimmungs-
ort gébracht und dann durch eine Bruch-
steinbelastung versenkt. Diese feste Boden-
abdeckung ist im wahren Sinne des Wortes
die Grundlage des spateren Deiches.
An manchen Stellen der Zuidersee stieB man
auf Glaziallehm, der der Gewalt der Strö-
mungwiderstand.Dennodi muBten viele hun-
derttausend Quadratmeter Faschinenmatrat
zen verlegt werden. Alle Arbeiten muBten
genau vorausgeplant werden. Man muBte
lange Arbeitsunterbrechungen und teilweise
Zeystörungen des Begonnenen wahrend der
Frühjahrs- und Herbststürme in Kauf neh-
men. Dennoch gelang es, den Zeitplan einzu-
halten, und als der AbschluBdamm erriditet
war, errichtete man ein Monument mit der
Mahnung:
„Een volk dat leeft bouwt aan zijn toekomst"
(„Ein Volk, das lebt, baut an seiner Zukunft")
Eine andere Technik wandte man an, als 1944
die Deiche der Insel Walcheren im Südwesten
des Landes durch Bomben zerstört wurden.
Bei einer Pegelsdiwankung von vier bis fünf
M.etern zwischen Hoch- und Niedrigwasser
wurden die Dëichlödier von Tag zu Tag gro
Ber. Es gab ein Wettrennen mit der Zeit. Mit
allen Kraften ging man daran, die Deich-
lücken zu sdilieBen, aber wenn die AbschluB-
öffnungen eng wurden, erreichte die Strö-
mungsgeschwindigkeit so hohe Werte, daB
selbst die Senkstücke mit ihrer Bruchstein-
besdiwerung weggerissen -wurden. Man
muBte den letzten AbschluB schnell, sehr
schnell, und möglichst mit einem einzigen
Bauelement erzwingen.
Aus England holte man Senkkasten aller
GröBen. Sie glichen schwimmenden Etagen-
hausern. Die gröBten Betonsenkkasten, die
zur SchlieBung der Deiche auf Walcheren ver-
wendet wurden, waren 60 m lang, 13 m hoch
und 13 m breit. Sie hatten eine Wasserver-
drangung von 3000 t. Es war immer ein span-
Die Betonseukkaslen werden mit Hilie von Schleppem zum Deidi geschwommen.
Damit wird auch der Wasserarmut des Lan
des wirkunqsvoll vorqebeugt werden kön
nen. Bisher drang das Salz in Flüsse und Bin-
nenwasser ein. In wasserarmen Sommern
Das Delta-Gebiet von Süd-Holland
Hauptdamme (geplant)
Nebendammen geplant
Ho//. Ijssel Wehr (bereils im Bau)
Die schraffierten und gepunk'eien Gebieie kennzcichnen die
ven der groBen Slurmflul 1953 bclroffcncn landesléiie.
trockneten dié Kanale aus und versalzten.
Immer wieder fehlte es an SüBwasser für das
Gedeihen der Pflanzen. Die erste groBe Hilfe
für die SüBwasserwirtschaft der nördlichen
Niederlande war der AbschluB-der Zuidersee,
der jetzigen Ijsselsee. Sie stellt eine gew
uge SüBwasserreserve für die Bewasserung
des Landes in Trockenperioden dar. Nun soil
djiréh' den Afechlufi der Meeresarme im Rah-
men' des' Deltaplans aych im -Süden ein
"Wasserspeidrer gaschaffen werden, der der
standig bedrohten SüBwasserwirtschaft der
Niederlande zu Hilfe kommen wird.
Die Verwirklichung eines Projektswie die
Ausführung des Deltaplans verlangt Pla-
nungen auf viele Jahre hinaus. Dié schon
1950 vollendete AbschlieBung der Brielse
Maas gehort heute zu den T-eilaufgaben-des
1953 beschlossenen Gesamtvorhabens. Da.-
mals d. h. sofort nach der groBen Sturm-
flutkatastrophe begann man mit den Ar
beiten zum AbschluB der hollandischen Ijssel.
Für diesen AbschluB w.urde keinGrunddamm,
sondern ein bewegliches Wehr gewahlt, das
geschlossen werden kann, wenn eine Sturm-
flut drohL
Zum AbschluB des Haringvliets baüt man
einen Umringungsdamm, so daB der eigent-
liche Baugrund auf dem Boden des Flusses
trockengelegt wird. Dort wird man 6 Jahre
lang arbeiten müssen, um die Schleusen
fertigzusteilen. die 2 Reihen Segméntschütze
von je 60 m Breite und 10 m Höhe erhalten
werden. Diese brèiten öffnungen sollen den
groBen Eismengen freien Durditritt gestat-
ten, die die Flüsse in kalten Wintern mit sich
führen. Die Schütze werden durch eine
Spannbetonbrüdce mit dreieckigem Quer-
schnitt gestützt werden, damit sie dem An-
griff der Meereswellen widerstehen können.
Zusatzlich wird man in der FIuBmündung
eine Schutzwand errichten, die die Halfte der
Mundung absdilieBt. Nach AbschluB der
Schleusenbauten wird der Umringungsdamm
wieder abgetragen werden. An die Schleu
sen werden sich Deiche ansdilieBenr die eine
14 m breite Autobahn tragen und. die reiz-
volle Landschaft der Insel dem Touristen-
verkehr erschlieBen.
Noch umfangreichere 'Arbeiten müssen im
südlichen Abschnitt des Deltaprojekts vor-
genommen werden; denn das Brouwers-
havensche Gat und das Oostérschelde Gat
sind Meeresarme von groBer Breite. Die
Wassermenge, die durch die Mündung der
Oosterschelde hin und her strömt, ist etwa
zehnmal so groB wie' die des gröBten Deich-
lochs, das: 1953 geschlossen werden muBte.
DemgemaB müssen hier auch andere tech
nische Mittel eingesetzt werden. Man könnt(
z. B. eine groBe Anzahl Pfeiler in den Strom
bauen, die die Wasserflut unbehindert durch-
Tassen.'Wë'iin alle Pfeiler fertiggesteilt sind,
könr.te'man dann ails vnrbliebehen Öffnun
gen zuglefch mit Türen, Sch'ützen oder Klap
pen abschliefien. Man könnte aber auch
Senkkasten mit verschlieBbaren Durchlassen
dicht nebeneinander in langer Reihe auf-
stellen, sobald der Boden der tiefen Strom-
rinnen fëstgelegt und mit Bruchsteinfüllun-
gen abgedeckt ist. Alle diese A.rbeiten, das
Wahrend der letzlen Bauphase vor dem SchlieOen des Dammes werden die Sohlenbefestigungen und
Bauelemenfe durch den kraftigen Sfrömungskeil mit seinen Slromwirbeln hart beansprudit.
Die Fluthöhe in diesem Gebiet b'etragt 3 bis
4 m. Durch das gröBte Deichloch drangen
taglich zweimal etwa 100 Millionen cbm Salz-
wasser ein, um nadi dem Gezeitenwechsel
wieder ins Meer zurückzuflieBen. Die ganze
niederlandische Baggerflotte wurde ins Delta
geführt. Alle Krafte muBten vereinigt wer
den, um das überschwemmte Land zurück-
zugewinnen.
Bald nach der Flutkatastrophe von 1953
wurde der EnlschluB gefaBt, die Deiche zu
verstarken. Alle interessierten staatlichen
Stellen fanden sich zu einer Zusammenarbeit,
werpen, sollten offenbleiben. Damme von
insgesamt 20 km Lange sollten an die Stelle
hunderter Kilometer sich schlangeinder Deiche
tieten und eine kurze, starke Verteidigungs-
linie bilden, die den sogenannten „Deltasee"
vom Meer trennt und eine fast unbegrenzte
Sicherheit bieten wird.
Der Rolterdamer Wasserweg kann aber
groBe Wasserüberschüsse, wie sie vor allem
wahrend der Sdmeeschmelze und nach dem
Losbrechen des Eises entstehen, nicht allein
bewaltigen. Als Sicherung soil daher in einem
der neuen AbschluBdeiche eine verschlieB-
bare öffnung vorgesehen werden. 16 gigan
tische Entwasserungsschleusen von je 60 m
Breite werden nebeneinander in den Haring-
vliet-Damm eingebaut werden und dem
Rheinwasser eine Ausweichmöglichkeit ge-
ben. Aber auch dieses riesige Bauwerk wird
nutzlos sein, wenn eine Sturmflut naht. und
die Schleusen geschlossen werden müssen.
Dann muB das Rheinwasser vorübergehend
in dem groBen Becken des Deltasees gestaut
werden. Man fürchtet jedoch nicht, daB sich
dabei unzulassige Wasserhöhen ergeben
werden. Die Sturmfluten dauern hödistens
einige Tage, und in dieser Zeit wird die Auf-
nahmefahigkeit des Deltasees nicht über-
schritten.
Auf dem 30 km langen AbschluBdamm (Zuidersee)
wurde ein Monument errichlet, das die Worte
«Een Volk dat leeft boüwl aan zijn toekomst" tragi
nender Augenblick", wenn sie bei kenterndfem
Strom, zwischen Ebbe und Flut, von Schlep-
pern eingeschwommen worden waren und
dann bei steigendem Wasser zum erstenmal
dem groBen Horizontaldruck widerstehen
muBten. Aber das neue Bauelement, das man
zunachst nur zögernd anzuwenden wagte,
bewahrte sich. In einigen Fallen wurden
ganze Betonschiffe in die Löcher versenkt. In
die verbleibenden öffnungen wurde Material
aller Art geworfen, um den Strom zu brechen
und dén schnellen Weiterbau zu ermöglichen
und zu beschleunigen. So wurden die Deiche
Walcherens wieder geschlossen und einige
Meeresarme abgedammt.
Aber es gab kein Ausruhen. Aus.statistischen
Untersuchungen über die Sturmfluten der
Vergangenheit suchte man Voraussagen über
aie künftig zu erwartenden Fluthöhen zu ge
winnen. Neben drei speziellen Redienverfah-
ren, zu. deren Durchführung 10 elektrische
Rechenmaschinen verwendet wurden, selzte
man ein hydraulisches und ein elektrisches
Modell zur Erfassung disr Strömungsverhalt-
njsse und der Wasserstande ein. Man kam zu
der Folg.erung, daB die meistenDeiche zu
njedrig waren, um einen .sicheren Schutz zu
bieten'. Sié .miiBten als verléizbarer ah-
gesehen werden, als. man-geglaubt'hatte.
20 J*ahre lang hatten 50 Fachleute das Delta-
gebiet studiert, bis im Dezember 1952 von
der Regierung der Auftrag gegeben wurde,
zu prüfen, wie man die Mündungstrichter
zwischen Walcheren und Voorne abdammen
könne. Sdion kurze Zeit spater lag'ein um-
"fangrëiches Beobachtungsmaterial vor, als am
1. 2. 1953 die Sturmflut den Beweis erbradite,
daB die auf Grund der Berechnungen entstan-
denen Befürchtungen bereditigt waren. Die
Sturmflut von 1953 war höher als ihre Vor-
ganger und führte zu einer Katastrophe. An
vielen Stellen durdibradi - das Meer die
Deiche un^l zerstörte Hausër und Landereien.
:809 Mensch en ertra.tkSn, Der Sadisdiac'len
belief sich auf rd. 2,2 Miiliarden DM.
von Prof. Fr. PH. Jansen,
Scheveningen
der der Generaidirektor der Behörde „Rijks-
waterstraat" A.G. Maris den Namen Delta
plan gab. Der Süawestèn,- dér' Niederlande
sollte endgültig geschützt werden;. Die-Deiche
sollten erhöht, aber. zugleich.auch. verkürzt
werdén. Die Meeresöifnungeri-'soiiteri 'abgè-
schl'-ssen nur der' - P.oU'-rdamer-
WaiW:rweg >.ÏÏÏ1.1CW'^westersdieidedie Zu-
gangè zu den Hhft.71 von Rotterdam und Ant-
Abdeckèn des Meeresbodens, das Füllen der
tiefen Rinnen mit Sternen, das Abflacnen der
Bruchsi^infüllungen, das Heranschleppen und
in Stellung bringen der riesigen Senkkasten
erfordern eine fehlerlose Organisation. Der
AbschluB eines einzelnen Seearmes wird
etwa 8 Jahre erfordern. Dabei wird die
eigentliche Arbeitszeit auf die ruhige Som-
mersaison beschrankt bleiben. Im Herbst und
im Winter werden die Arbeiten durch das
unruhige Wasser behindert, und sicher wer
den Stürme einen Teil dessen, was im Som-
mer erreicht wurde, wieder zerstören.
uu-em^r. c
r?Jjn>r -0